Een mooi verslag van een Schalke supporter:
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Eindrücke aus Enschede
Enschede – Ostholland (nein, das ist keine Beleidigung, auch nicht wenn weiter unten von „Holländern“ die Rede ist, als Fast-Nachbar weiß ich selbst, dass es sich bei den meisten Einwohnern Enschedes nur umgangssprachlich um Holländer handelt – das nur zur Klarstellung ) – ein Spiel vor meiner Haustür also, als ich mich um 17 Uhr auf dem Weg mache. Um 17:15 Uhr bin ich dort am Stadion - in der Hoffnung, dass ich 3,5 Stunden vor Spielbeginn noch freie Parkplatzwahl habe und mir einen der Besten aussuchen kann. Doch vor dem Stadion herrscht bereits Stau und leichtes Verkehrschaos, aus dem ich erst eine halbe Stunde später wieder heraus komme – ohne auch nur ansatzweise zu den Parkplätzen durchgedrungen zu sein. Kurzerhand fahre ich in die City und informiere meine Kollegen, dass wir uns am Hauptbahnhof treffen. Parken dort ist kein Problem – alles frei. Auf dem Fußweg zum Bahnhofsgebäude kommen für kurze Zeit leichte Bedenken bei mir auf – von wegen allein in Schalkeklamotten durch die niederländische Einkaufsstraße. Aber jeder – wirklich jeder Einwohner, der mir begegnet – ob mit oder ohne Twente-Schal – hält nicht nur den Daumen hoch, sondern gibt mir gleich die Hand, erzählt was von guten Freunden, von einem guten Spiel und so manch einer umarmt mich auch noch mit einem fairen Schulterklopfen. Es gibt halt über Jahre hinweg schon freundschaftliche Beziehungen beider Lager und letztlich ja auch einen großen Schalke-Fanclub in Enschede.
Vom Bahnhof aus fahren Shuttlezüge zum Stadion – und die sind nicht einmal überfüllt, ganz im Gegenteil – es gibt noch reichlich freie Sitzplätze, als sich der Zug in Bewegung setzt. Unterwegs wieder nette und freundschaftliche Unterhaltungen mit den Niederländern (wie heißen eigentlich die Einwohner aus Enschede..? Enschedeer?? – egal..) und nur wenige Minuten nach Abfahrt werden wir direkt vor dem Stadion schon wieder auf dem Bahnsteig abgeladen. Eines der ersten Spiele im umgebauten und vergrößerten Stadion, zum Teil aber immer noch Baustelle. So laufen wir erst einmal um das ganze Stadion zu unserem Block, um am Ende vor einem Bauzaun zu stehen, der den Weg zu unserem Eingang versperrt. Also die ganze Runde wieder zurück und rein ins Vergnügen. Ich erinnere mich – unser letztes Spiel auf einer Baustelle war in Leverkusen. Noch gar nicht so lang her und bekanntlich weiß man, wie es ausgegangen ist. Aber wir sind ja nicht abergläubisch…
Eher magere Kontrollen, freie Platzwahl verteilt auf zwei Blöcke direkt nebeneinander – leider getrennt durch Sicherheitsglas und bösen Absperrungen – und wir lassen uns ziemlich weit vorne im rechten Block nieder, direkt an der bösen Blocktrennung. Das vordere Tor ist durch die Absperrung so grad noch zu erkennen, aber passt schon.
Irgendwie herrscht eine komische Atmosphäre, so recht scheint niemand an einen heutigen Sieg zu glauben. Maximal ein Unentschieden. Nur sehr langsam rafft sich einer nach dem anderen auf und nimmt am warm singen teil. Im Block nebenan klettert der Vorsänger auf den Zaun. So nah von zuhause, aber trotzdem Ausland. Fazit: „Wir werden siegen“! Kurze Zeit später schleicht sich der zweite Vorsänger auf den Zaun und kümmert sich ab sofort im Einklang mit seinem „Nachbarn“ um unseren Block. Die Stimmung kann ja nur geil werden heute.
Überall in den Blöcken werden verschiedenste Dinge und Materialien verteilt – hier und heute ist scheinbar so gut wie nichts verboten und zum Einlauf gibt es eine vermutlich richtig nette Parade von uns – ich hab sie ja leider selbst nicht sehen können. Was ich aber sehen kann, dass auch Twente eine riesige Choreo vorbereitet hat – ein wirklich hübscher Anblick, zumindest was man mit Blinzeln durch die eigene Choreo so erkennt.
Also auf geht’s, der Optimismuspegel steigt an und eigentlich kann doch heute nichts mehr schief gehen. Twente ist laut – verdammt laut. Aber auch wir sind nicht leise. Ganz im Gegenteil, eigentlich müssten die ersten Stimmen bereits nach zwei Minuten versagen. Tun sie auch. Aber nicht wegen der Lautstärke beim Singen – nein – durch die böse Absperrung sehe ich unser Tornetz zappeln und Twente führt 1:0. Unglaublich. Unfassbar. Dabei waren die Rahmenbedingungen so perfekt, es schien ein so geiles Spiel zu werden.
Nach diesem Tor verliert unser Block völlig den Mut, lässt sich hängen – wie die Spieler auf dem Rasen. Während die Jungs 20 Zentimeter neben mir – auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe – jetzt erst Recht noch einmal richtig Gas geben, so bleibt es bei uns still. Alle Versuche der anderen Seite uns mitzuziehen bleiben leider erfolglos. Ganze 11 (kein Scherz, es war leider wirklich zu überschauen!!!) von ca. 500 auf unserer Seite geben alles… der Vorsänger, wir mit ein paar Leuten und dann sind da noch drei bis vier andere im Block, einer ein paar Reihen hinter mir, einer am Anfang unserer „Sitzreihe“ und einer irgendwo mitten im Block, welche bedingungslos mitziehen.
So viele Schalker hätten alles getan, um für dieses verdammte Spiel eine Karte zu bekommen. Und hier stehen so viele von denen, die eine Karte bekommen haben bei uns im Block und schauen gelangweilt durch die Gegend, bekommen ihr Maul nur zum rummeckern mal kurz auf. Schade so was.
Für uns gibt es in der ersten Halbzeit eine ganze Torchance, als Westermann den Innenpfosten trifft und auch der Abpraller nicht reingeht. Okay – sagen wir also zwei Torchancen. Hört sich besser an.
In der zweiten Halbzeit scheint aber etwas zu gehen. Unsere Spieler auf dem Rasen geben plötzlich Gas und das merkt auch unser Langweiler-Block. Wir werden noch einmal so richtig laut. Ganze 10 Minuten Vollgas auf dem Rasen und auf den Rängen. Unser Manu kann einen Torschuss so grad noch abwehren, doch im Nachschuss fällt dann das 2:0 für Twente.
Es geht nichts mehr, einfach gar nichts mehr. Zwar eine Steigerung zu den letzten Spielen, aber unsere Mannschaft sieht so hilflos, so ratlos, und irgendwie auch immer noch willenlos aus. Unser Support verstummt zunächst gänzlich. Erst nach einiger Zeit realisieren alle den Spielstand, das vermutliche Aus jetzt auch noch im UEFA-Cup und sehen unsere Spieler, die entweder nicht wollen… und wenn sie wollen, nicht können… und wenn sie mal können, kein Glück haben.
„In Europa – lacht uns jeder aus“ und seltsamerweise singen beide Blöcke. Oder „Hi-Ha-Höre – Schalker Amateure“ hallt es aus unserer Kurve. Allmählich macht sich Fassungslosigkeit breit, vielleicht auch nur Ratlosigkeit – wie bei unseren Spielern. Die Schalker Höchststrafe aus den 80er ertönt: „Wir sind Schalker und ihr nicht“, zunächst zögerlich, weil jeder erst mit sich klar machen muss, ob das nun wirklich verdient oder schon angebracht ist, aber letztlich unüberhörbar. Ich weiß nicht, ob ich einfach nur wie festgewachsen dastehen und heulen, oder mitsingen soll.
Und Twente? Sie spielen einfach weiter. Man sieht ja heute den guten Willen bei uns, aber es reicht nicht. Niemals. Und so kommt es zur nächsten Höchststrafe. Fast lauter und geschlossener als alle anderen Gesänge in der ersten Halbzeit ertönt aus unserem Block das, was vorher Twente die ganze Zeit gesungen hat: „Twente, Twente Enschedeeeee… ohohooo Twente, Twente Enschedeeeee“. Das Stadion für einen kurzen Moment still, einfach nur still. Doch dann stehen über 20.000 Holländer auf und applaudieren uns zu, singen „Schalke bedankt“. Hohn? Spott? Freundschaft? Ich weiß es nicht. Bei jeder gelungenen Aktion von Twente auf dem Rasen jubelt unser Block und plötzlich geht da was bei den Schalkern. Asa macht das 2:1. Doch niemand freut sich. Ein paar schütteln mit den Köpfen, ein paar andere Lächeln und wieder andere stimmen gleich wieder das „Twente-Lied“ an. Es tut so weh. Mit Tränen in den Augen singe ich mit.
Aber plötzlich scheint da wirklich mehr zu gehen. Unsere Spieler zerreißen sich auf dem Platz, sie kämpfen wirklich. Fabian Ernst mit einigen guten Möglichkeiten, der hat ja mal so richtig die Schnauze voll und rennt immer wieder von neuem durch die holländische Abwehr. Benny Höwedes in der 90. Minute, wie ein tollwütiger Löwe beißt er sich durch, hat den Ausgleich auf dem Fuß. Aber am Ende reicht es nicht. Twente gewinnt 2:1 und ist damit sicher eine Runde weiter. Und wir? Wir können nur noch auf die anderen hoffen, dass am für uns spielfreien Tag Manchester City gegen Santander und Twente gegen PSG gewinnt. Unsere Spieler rennen direkt in die Kabine, nur Manuel Neuer und Ralf Fährmann kommen ein paar Meter Richtung Kurve gelaufen. Neuer ist völlig fertig, Fährmann stützt ihn und beide winken einmal kurz, verschwinden dann auch im Tunnel.
Ich schaue mich im Block um und sehe, wie sich so langsam die verzerrten Gesichter lösen, fast überall lustige Gespräche geführt werden. Galgenhumor? Todtraurig, aber dennoch irgendwie nicht enttäuscht, eher locker und resignierend, keine Wut. Ähnlich wie in Stuttgart. Die holländischen Spieler laufen über dem Rasen zu ihrer Kurve, wollen mit ihren Fans feiern. Doch aus unserer Kurve ertönt plötzlich wieder unüberhörbar das „Twente-Lied“ und wir winken die Spieler zu uns. Die drehen tatsächlich um, etwas hilflos, etwas verwirrt starren sie in unsere Kurve und sehen, wie viele bei uns die LaOla fordern. Zunächst applaudieren sie zögerlich, strecken den Daumen in die Luft, doch viele im Block lassen nicht locker. Letztlich stehen die Spieler vor uns, werden gefeiert und machen mit uns die LaOla. Die armen Jungs wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Unsere Blöcke im Freudentaumel, alle feiern das, was es zu feiern gibt – ein Sieg von Freunden. Ich weiß gar nicht, was es grad Schlimmeres geben könnte. Als die Spieler dann zu ihrer Kurve abdrehen steht wieder das gesamte Stadion und singt „Schalke bedankt“. Wir applaudieren und da es keine Blocksperre gibt verlassen alle lachend den Gästeblock.
Draußen rennen Kamerateams wie irre auf einen los, wollen Interviews und wütende Schalker Fans mit ihren Linsen einfangen. Sie bekommen nichts von beidem, fast nichts jedenfalls. Ein paar Meter weiter rennen uns die Holländer entgegen. Unzählige unbekannte Holländer fallen einem regelrecht um den Hals, versuchen zu trösten, erzählen was von Freundschaft, von einem gemeinsamen Bierchen in der City, versprechen einen Sieg gegen PSG… ich bin ja etwas versteinert, weiß gar nicht wie ich darauf reagieren soll. Verdammt, meine Mannschaft hat verloren, die Champions League verspielt, für dessen Teilnahme wir letzte Saison alles gegeben haben, jetzt vermutlich auch das Weiterkommen im UEFA-Cup und ob wir nächste Saison überhaupt international spielen dürfen, steht wohl in den Sternen. Vielleicht machen wir es ja wie die Schwattgelben und qualifizieren uns über den DFB-Pokal, gegen Jena müsste doch erstmal was drin sein. Irgendwie muss ich lachen.
Meine Versteinerung löst sich und die gut gelaunten Holländer stecken einfach an. Wir kommen nur mit Mühe bis zur Bahnstation, werden wir doch immer wieder in freundliche Gespräche verwickelt. Und die Bahn ist wieder mal nicht überfüllt. Als wir abfahren sind noch zig Sitzplätze frei. Die kommen wohl wirklich alle mit dem Fahrrad hier, denn davon stehen Hunderte vor dem Stadion. Bei uns im Abteil sitzen etwa 20 Leute -16 Twente-Fans und wir zu viert. Ein Kollege telefoniert grad mit zuhause und berichtet vom Spiel, als plötzlich alle Holländer dem Gespräch lauschen und kurzerhand anfangen „Steht auf wenn ihr Schalker seid“ zu singen und alle, so wie sie da in ihren Twente-Trikots sitzen auch aufstehen und darauf bestehen, dass mein Kollege deren Schalker Freund am Telefon grüßen soll. Heute ist alles komisch.
Als wir am Hauptbahnhof ankommen ist es eigentlich viel zu schade um direkt nach Hause zu fahren. Obwohl wir bereits zig Einladungen zum Bier abgelehnt haben, entschließen wir uns dennoch kurz in die City zu laufen, gehen auf ein Bier in die nächste Bar. Keine erkennbaren Fußballfans da, weder Twente, noch Schalke. Nur ein paar Studenten. Aber auch die rennen direkt auf uns los, fragen ob wir im Stadion waren, stellen uns ein paar Bier vor die Nase und es entwickeln sich einige nette Gespräche, dabei sind wir noch nicht einmal weiter als fünf Meter in den Laden rein gekommen. Ich wehre mich gegen die Massen an Alkohol, aber verdammt – das Bier schmeckt heute und die Stimmung ist auch klasse. Mit der Zeit wird’s auch richtig voll hier, Fußballfans beider Lager machen sich in der Bar breit und an jeder Ecke wird gemeinsam gefeiert. Holländer lernen ja Deutsch in der Schule, also auch kein Problem sich zu unterhalten. Und mit denen, die in Deutsch eine schlechte Note auf dem Zeugnis hatten kann ich mich zur Not auch ein wenig auf Niederländisch unterhalten. Kein Problem und der Abend scheint kein Ende zu nehmen. Als ich kurz für eine Zigarette vor die Tür will traue ich meinen Augen nicht. Der gesamte Vorplatz ist voll mit Schalke- und Twente-Fans. Bei eisigen Temperaturen wird gefeiert was das Zeug hält. Wie Schalke heute gespielt hat? Ich glaub daran kann sich niemand mehr erinnern, alle reden nur vom Twente-Sieg. Und so was muss halt gefeiert werden. Ich versteh die Welt nicht mehr.
Um 1 Uhr schließt die Bar, mühsam hab ich es geschafft nur zwei kleine Bier zu trinken, damit ich noch nach Hause fahren kann. Auf dem Weg zurück zum Hauptbahnhof werden wir alle paar Meter von Grüppchen angehalten – Schalker und Twente-Fans kommen uns Arm in Arm entgegen, fragen wo man noch feiern kann oder geben uns Tipps. Auch reine Twente-Grüppchen laufen nicht an uns vorbei, wollen Hallo sagen, einem die Hand geben, sich für den Support bedanken, uns auf ein Bier einladen. Von der Bar bis zum Hauptbahnhof wären es etwa 5 Minuten Fußweg, wir brauchen über eine Stunde. Erst um kurz vor halb Drei sitze ich endlich im Auto und fahre heimwärts. Unterwegs ertappe ich mich beim Summen: „Twente, Twente Enschedeeeee“.