Wat een verademing om na wat pamfletten die in Nederland doorgaan voor kwaliteitskranten eens een échte kwaliteitskrant te lezen!: De
Frankfurter AllgemeineKommentar
Recht und Ordnung
06. November 2005 Das Fortdauern der gewalttätigen Unruhen in den französischen „banlieues” macht erschrecken.
Einerseits muß man fragen, was in einer Gesellschaft falsch gelaufen ist, um solcherart Übergriffe auf Hab und Gut, ja auch auf Menschen anzustoßen; andererseits ist die Frage erlaubt, ob nicht nach dem ersten Aufkeimen der Unruhe nach dem Tod zweier Jugendlicher auch Leute auf diesen Zug aufgesprungen sind, deren Motivation - um es zurückhaltend auszudrücken - nicht primär sozial, sondern aggressionsfördernd orientiert ist. Da wurden offenkundig Hemmschwellen überschritten.
Unter dem Druck der Straße
Der französische Innenminister Sarkozy, der Jacques Chirac als Nachfolger beerben will, hat durch einige Äußerungen, die dem Zorn entsprangen, nicht politischer Rationalität, zusätzliche Erregung bei manchen Bewohnern der Vorstädte hervorgerufen. Das war unklug. Aber seine Taktik, zunächst einmal Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, bevor man die Probleme anpackt, ist richtig. Dafür hat er keinen Tadel verdient.
Gerade der demokratische Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft können nur funktionieren, wenn die hohen Güter von Recht und Ordnung akzeptiert werden. Mit der Friedhofsruhe der Diktaturen hat das nichts gemein. Unter dem Druck der Straße können die Schwierigkeiten, die es in Frankreich gibt, nicht angegangen, geschweige denn gelöst werden.
Große Unehrlichkeiten
Seit einer Woche hört man nun allenthalben die üblichen, einer popularisierten, damit vereinfachten Gesellschaftswissenschaft entstammenden Thesen, die Unruhestifter bedürften einer „Perspektive”, beruflich, sozial und menschlich. Wer wollte solche Trivialitäten leugnen? Aber wer soll diese Perspektiven gewähren? Arbeitsplätze werden nicht vom Politiker Sarkozy vergeben, sondern von der Wirtschaft, den Unternehmern. Deren Anforderungen berühren alle Fragen der Integration von Migranten.
Zu den großen Unehrlichkeiten der europäischen Politik und des intellektuellen Diskurses gehört sei langem, daß über multikulturelle Fragen nur in einer Richtung mahnend geredet werden darf - der aufnehmenden (im Zweifel anonymen) „Gesellschaft”. Wer die kulturellen Unterschiede thematisiert und von den Migranten fordert, sie möchten sich stärker anpassen, gilt als nationalistischer Unmensch, dem „Offenheit” fehlt.
Text: wgl., F.A.Z., 07.11.2005
Bildmaterial: dpa/dpaweb